Arctica islandica

400 Jahre - aber was für ein Leben!?

von Günther Trappe, Nov. 2007

(Artikel aus "Die Welt" vom 30. 10. 2007)
Vor Island haben Seeleute eine uralte Muschel gefangen.
Sie ist bei bester Gesundheit.
Von Thomas Delekat

Die Islandmuschel liebt schlicksandige Böden im tieferen Wasser und lebt dort ungestört vor sich hin. Nun haben Seeleute vor der isländischen Küste eine Arctica islandica gefangen. Das vom Seeboden weg geschürfte Exemplar ist etwa 410 Jahre alt, bei bester Gesundheit und das älteste Tier der Welt. Die Bedeutung des Fangs wurde sofort erkannt, weil das Schiff im Forschungsauftrag der EU vor der Insel kreuzte. Von den Jahreslinien auf den Schalenhälften liest die Wissenschaft nun ab, wie wechselhaft im is isländischen Meer der Verlauf von Salzdichte, Temperatur und Nahrungsgehalt während der vergangenen vier Jahrhunderte war.
Zu derselben Zeit, als die isländische Methusalem-Muschel noch ein kleines Muschelchen war, kam Galileo Galilei dahinter, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt - wie der Papst es wollte. Shakespeare schrieb an "Hamlet", Peter Paul Rubens brauchte viel Farbe für üppige Frauen, und Spinoza machte sich so seine Gedanken. Und die Muschel? Sie legte sich im isländischen Meer fleißig eine Jahreslinie nach der anderen zu.
Am Meeresforschungsinstitut der Universität von Wales in Bangor überlegt nun ein Professor, ob nicht im Inneren der Arctica-Schale seit 410 Jahren eine wissenschaftliche Perle ruhe - die Formel für das ewige Leben.
Zwei Möglichkeiten sieht Professor Chris Richardson: Entweder die Muschel hat den Bogen raus, wie man die Zellalterung umgeht. Oder aber sämtliche Zellen erneuerten sich in idealem Tempo. Der Professor wie die gesamte Wissenschaft ist fasziniert von vier Jahrhunderten Muschelleben. Aber es waren 400 Jahre im Dunkeln, und weit hat die Arctica es auch nicht gebracht, sie blieb die ganze Zeit am selben Fleck. Zudem ist das isländische Küstengewässer eisig kalt, und schlimmer noch - die Muschel konnte keine andere Muschel kennenlernen. Sie war ein Leben lang allein zwischen ihren Außenschalen. Vom Vergnügen der Balz ist die taubstumme Arctica ohnehin ausgeschlossen, sagen die Biologen. Es sei eine Molluske. Sie vermehre sich ohne Berührung. 410 Jahre! Ein großes, beneidenswertes, ein gesegnetes Alter. Aber was für ein Leben!


Ich habe jetzt in anderen Zeitungen die gleiche Meldung gefunden, allerdings in der Web-Seite der Süddeutschen Zeitung etwas genauer, so dass ich meine Zweifel wegen der "Jahresringe" wohl aufgeben muss. Sicherlich ist nicht jeder Anwachsreifen als "Jahresring" zu interpretieren.

www.sueddeutsche.de (31. 10. 2007)

Die Forscher der University of Wales bestimmten das Alter der Muschel anhand der Jahresringe ihrer Kalkschale. Ähnlich wie Baumstämme wachsen auch Muschelschalen schichtweise.

Die Struktur und das Aussehen dieser Kalkschichten verändern sich mit den jahreszeitlichen Schwankungen der Wassertemperatur, des Salzgehalts und des Nährstoffangebots im Meer. Aus den Jahresringen lassen sich daher Rückschlüsse auf den chemischen Zustand des Meerwassers in den vergangenen Jahrhunderten ziehen.

Die Schalen lebender Exemplare geben dabei nicht nur Aufschluss über die unmittelbar zurückliegende Zeit, sie helfen auch dabei, ältere Funde zu datieren. Die Stoff- und Temperaturschwankungen im Meerwasser hinterlassen in allen Muscheln einer Gegend die gleichen Spuren.

Bei lebenden Muscheln kann jeder Ring der Schale unmittelbar einem bestimmten Jahr zugeordnet werden. Findet sich eine charakteristische Ringabfolge bei einem älteren, toten Fund wieder, kann dieser zeitlich eingeordnet werden. So soll anhand verschieden alter Schalen langfristig der chemische Zustand der Nordsee in den vergangenen 1000 Jahren rekonstruiert werden.